Der Moment, der alles veränderte
Marina kannte das Gefühl nur zu gut – bei Familienfeiern in Dalmatien sitzen, Gesprächsfetzen verstehen, während ihr Mann sich mit Verwandten unterhält. Sie erfasste die Themen aus dem Kontext, konnte vertraute Wörter heraushören, aber sobald jemand sie direkt ansprach, reichte ihr kroatischer Wortschatz selten über „Kako si?“ und „Ja sam gladna“ hinaus. Letzteres, wie sie lachend betont, sei in Kroatien besonders wichtig.

„Ich dachte mir immer: Ich will nicht ständig meinen Mann fragen müssen:
‚Was haben die gerade gesagt?‘ Das kam mir so blöd vor.“
Den Wendepunkt erlebte sie letztes Jahr nach einem Besuch bei seinem Cousin. „Ich habe an diesem Abend noch beschlossen: Ich melde mich jetzt für diesen Kurs an“, erinnert sie sich. Es war keine dramatische Offenbarung, sondern die Summe zu vieler Momente, in denen sie sich wie eine Außenstehende in ihrer eigenen erweiterten Familie fühlte. Die Reaktion ihres Mannes war unterstützend, aber zurückhaltend: „Ja, probiere es aus. Warum auch nicht? Ist sicher cool.“ Der restlichen Familie erzählte sie zunächst nichts. Sie wollte keine Erwartungen wecken, die sie vielleicht nicht erfüllen könnte. In ihrer Freizeit kocht und näht Marina gerne – kreative Tätigkeiten, bei denen sie abschalten kann. Doch beim Kroatischlernen brauchte sie mehr als nur Entspannung: Sie brauchte Struktur und Verbindlichkeit.
Jugendliche unterrichten und selbst wie eine lernen
Wer mit 16- bis 20-Jährigen an einer Berufsschule arbeitet, versteht die Psychologie des Lernens besser als die meisten. Marina unterrichtet Elektrotechnik und Mathematik – Fächer, die auf Regeln und Strukturen aufbauen. Genau diese Struktur sucht sie auch beim Kroatischlernen. „Ich bin jemand, der sehr gerne irgendwas mit Struktur und nach Regeln macht“, erklärt sie. „Selbst wenn ich es nicht perfekt anwende, aber ich fühle mich dadurch sicherer, wenn ich solche Grundlagen weiß.“
Ihre Lehrerfahrung verschaffte ihr während des Referendariats in München einen unerwarteten Vorteil. Viele Schüler kamen aus dem ehemaligen Jugoslawien und glaubten, Kroatisch sei ihre geheime Klassenzimmersprache. „Das Erste, was man halt so mitbekommt, sind Schimpfwörter“, erzählt Marina. Als im Unterricht eines fiel, ermahnte sie ruhig: keine Schimpfwörter, auch nicht in anderen Sprachen. Ein Schüler drehte sich zum anderen und murmelte, die Lehrerin verstehe das sowieso nicht. „Ich habe mich dann umgedreht und habe gesagt: Doch, ich verstehe es sehr wohl.“ Die Überraschung der Schüler wandelte sich schnell in Interesse – plötzlich war ihre Lehrerin nicht nur jemand, der Regeln durchsetzt, sondern jemand, der wirklich versteht, was es bedeutet, zwischen Sprachen zu navigieren.
Wenn Struktur auf Realität trifft
Marinas erster Eindruck vom Kroatischen war eindeutig: kompliziert. Die Grammatik wirkte dicht, die Fälle überwältigend. Sie kaufte sich ein Buch und pendelte zwischen Überambition – zu viel auf einmal – und monatelanger Vernachlässigung. Ohne Struktur arbeitete ihr natürlicher Perfektionismus gegen sie. „Ich bin sehr perfektionistisch und ich habe auch deshalb immer noch Probleme, mich zu trauen, was zu sagen, weil es könnte ja falsch sein“, gibt sie zu. Diese Barriere versucht sie noch immer zu überwinden.
„Ich hatte Punkte, wo auf einmal Sachen Sinn ergaben, die ich davor nicht hatte. Es ist nicht einfach, und ich komme regelmäßig wieder an den Punkt, wo ich mir denke: Warum? Ich verstehe es nicht so ganz, warum das jetzt schon wieder so ist.“
Doch es gab echte Durchbrüche. In einer Stunde schrieb sie einen umfangreichen Text über einen Raum, um den Lokativ zu üben – „ich habe es ein bisschen übertrieben wahrscheinlich“, räumt sie ein. Zwei Formulierungen klangen für sie beim Schreiben seltsam. Als ihre Lehrerin Luna den Text durchging, waren das genau die beiden Fehler. „Also es kommt langsam so ein bisschen Gefühl“, reflektiert Marina. Manchmal täuscht dieses Gefühl noch – die Vergangenheitsform von „essen“ klang falsch, war aber richtig – doch das Fundament entsteht. Manche Wörter erschließen sich über die Aussprache: Als sie im Kroatischen auf „Croissant“ stieß, dachte sie: „Ja klar.“
Verbindung durch Komplexität finden
Die Beziehung zu ihrer Schwiegermutter hat sich über einen unerwarteten Kanal vertieft: sprachliche Neugier. Marina schreibt mittlerweile WhatsApp-Nachrichten auf Kroatisch – zugegeben, manchmal mit Hilfe von Google Translate – und dieser Austausch hat ihnen neue gemeinsame Themen eröffnet. Als Marina Verwandtschaftsbezeichnungen verstehen wollte, die über die nahe Familie hinausgehen, schickte sie ihrer Schwiegermutter eine Liste mit 16 verschiedenen Beziehungskombinationen. „Und sie hat mir dann wirklich eine Liste zurückgeschrieben. Das heißt so und das heißt so und das heißt so.“
Die Arbeit mit Luna, die aus Zadar unterrichtet, hat eine weitere Ebene sprachlicher Komplexität offenbart. Marina sammelt mittlerweile Vokabelvarianten: bosnische Begriffe von ihrer Schwiegermutter, Standardkroatisch aus dem Unterricht, dalmatinischer Dialekt von Familienbesuchen. „Ich habe jetzt teilweise Wörter, wo drei Sachen das gleiche bedeuten“, erklärt sie. Da ist „gaće“ – in Dalmatien Hose, anderswo Unterhose. Es gibt Tomaten und Schnürsenkel, jeweils mit regionalen Varianten. Sie wird diese Unterschiede wahrscheinlich nie zuverlässig anwenden, gibt sie zu, aber darum geht es auch nicht wirklich. Der Austausch an sich zählt.
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Fortschritt misst sich in Mut, nicht in Perfektion
Die Einzelstunden bieten Marina etwas, das sie allein nicht erreichen konnte: Verbindlichkeit ohne Starrheit. Wenn die Arbeit anstrengend ist, macht sie etwas weniger; in den Schulferien schafft sie mehr. Doch die Verpflichtung bleibt konstant. Entscheidend ist, dass Luna die meisten Aufgaben mündlich bearbeiten lässt und nur Hausaufgaben schriftlich aufgibt. „Für mich ist das deutlich mehr Sprechen als davor in den Gruppenstunden“, bemerkt Marina. Es zwingt sie, ihren Perfektionismus zu überwinden.
„Meine Schwiegermama findet es sehr, sehr cool, dass ich das so versuche. Das bedeutet etwas.“

Kroatische Sätze tauchen mittlerweile natürlich in Gesprächen mit ihrem Mann auf – einzelne Sätze statt fließendem Dialog, aber es ist ein Anfang. Ironischerweise war das Jahr, in dem sie endlich etwas kann, das erste Jahr ohne Kroatienurlaub – doch sie ist zuversichtlich, dass sie zurückkehren werden. Die Familie ihres Mannes reagiert ermutigend und scherzt gelegentlich, Marina werde irgendwann besser Kroatisch sprechen als sie selbst – was sie für höchst unwahrscheinlich hält. Doch wenn sie in grammatikalische Strukturen eintaucht, die die Familie intuitiv verwendet, können diese ihre eigene Sprache manchmal nicht erklären. „Das ist dann schon manchmal auch sehr unterhaltsam“, sagt sie. Ihr Rat für Anfänger spiegelt ihre Lehrphilosophie wider: Nicht abschrecken lassen von der anfänglichen Komplexität, Vokabeln lernen und Spaß dran haben. Die Grammatik kommt nach.
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