Sprachbrücke in die Familie
Zwölf Jahre war sie mit ihrem Partner zusammen, bevor Anita den Entschluss fasste, dessen Muttersprache zu lernen. Als gebürtige Österreicherin hatte sie bis dahin keinen zwingenden Grund gesehen, sich mit Kroatisch zu beschäftigen. Erst als Sohn Julian kam und sie beobachtete, wie er spielerisch in beide Sprachen hineinwuchs, spürte sie: Sie wollte Teil dieser Sprachgemeinschaft sein. Jedes Wort verstehen, das zwischen Vater und Sohn gewechselt wird.

„Mit Julian rede ich viel unbefangener Kroatisch. Er weiß ja noch nicht, was richtig oder falsch ist.“
Schnell fielen ihr vertraute Wortklänge auf – „Palatschinkje“ klingt nicht zufällig wie der österreichische „Palatschinken“. Solche Brücken erleichtern ihr den Einstieg. Wenn andere über die Komplexität des Kroatischen stöhnen, winkt sie ab. „Es ist definitiv nicht die schwierigste Sprache, die ich mir vorstellen kann. Da gibt es ganz andere Kaliber.“
Mit Vollzeitjob und Triathlontraining zum Spracherfolg
Anitas Leben ist durchgetaktet. Schichtdienst als Hebamme im Krankenhaus, dazu Triathlon-Training und die Familie – eigentlich kein Platz für aufwendige Hobbys. Beim Schwimmen, ihrer Lieblingsdisziplin, tauchen zwischen den Zügen manchmal kroatische Vokabeln auf. Ein mentales Training im chlorblauen Wasser.
Dass sie es trotzdem schafft, liegt am flexiblen Kursmodell: Die Termine am späten Nachmittag passen gerade noch in ihren Tagesablauf. Und verpasst sie doch mal eine Stunde, gibt’s die Aufzeichnung. „Dadurch verliere ich nicht den Anschluss – egal, was im Alltag dazwischenkommt.“
Längst denkt sie auch beruflich in Kroatisch. „Etwa fünf, sechs Geburten im Jahr betreue ich, wo die Frauen Bosnisch, Kroatisch oder Serbisch sprechen, aber kaum Deutsch können“, erzählt die Hebamme. „Bisher müssen wir oft auf den Partner oder Übersetzer warten, bevor wir verstehen können, was los ist.“ Zwar helfe Google Translate, „aber das ist voller Fehler“. Bald will sie selbst nachfragen können: „Was genau tut weh? Seit wann? Können Sie mir das zeigen?“
Die Befreiung aus dem ewigen Jetzt
Den entscheidenden Durchbruch erlebte Anita mit den Zeitformen. Wer nur im Präsens sprechen kann, ist wie gefangen im Moment. Keine Geschichten vom Wochenende erzählen, keine Pläne für morgen schmieden. Mit jeder neuen Zeitform wuchs Anitas Sprachraum exponentiell. Keine umständlichen Umschreibungen mehr, sondern klare, präzise Aussagen. Ein Quantensprung für ihr Selbstbewusstsein.
„Als wir Vergangenheit und Zukunft lernten, war das wie eine Befreiung. Plötzlich konnte ich ausdrücken, was ich wirklich sagen wollte – und nicht nur das, was in der Gegenwartsform möglich war.“
Auch kulturelle Missverständnisse lösen sich durch Sprachkenntnis in Wohlgefallen auf. Als die Familie ihres Partners ihre Geburt als „lagano“ beschrieb, war Anita zunächst gekränkt. Leicht? Wohl kaum! Bis sie verstand: Im Kroatischen bedeutet das eher „unkompliziert“ als „mühelos“. Eine Nuance, die den Unterschied zwischen Kränkung und Kompliment ausmacht.
Wenn Mitlernende zu Freunden werden
Die größte Überraschung auf Anitas Sprachreise? Nicht die Grammatik. Nicht der Wortschatz. Sondern die Menschen.
„Ich wollte Kroatisch lernen, aber dass es mir in der Gruppe so viel Spaß macht, hat mich selbst überrascht.“
Wie tief diese Verbindung geht, zeigt eine Episode aus dem letzten Sommer: Eine enge Freundin bat Anita, als Hebamme bei ihrer Geburt dabei zu sein – genau während die Sprachgruppe ihre erste gemeinsame Reise nach Kroatien plante. Was tat Anita? Sie organisierte eine Vertretung für die Geburt. Der Gedanke, den gemeinsamen Intensivkurs zu verpassen und die Gesichter hinter den Zoom-Kacheln nicht kennenzulernen, war unerträglich.
„In unserer Gruppe geht es so wertschätzend zu – da ist es völlig okay, Fehler zu machen. Wir lachen viel, und durch all die Übungen zu unseren Hobbys und Vorlieben kennen wir uns mittlerweile richtig gut. Da will ich keinen Moment verpassen.“
Null Ausreden mehr
Zwölf Jahre hat Anita gezögert. Heute versteht sie nicht mehr, warum. „Ich wünschte, ich hätte früher angefangen“, sagt sie kopfschüttelnd. „Diese Angst, dass es keinen Spaß machen würde, dass ich unbegabt sein könnte – dass ich nur Fehler machen würde und jemand mich dafür niedermachen könnte. Total unbegründet.“
Nach der Elternzeit plant sie, ihre Kroatischkenntnisse gezielt im Kreißsaal einzusetzen. Das lange Zögern bereut sie. Aber ihre Geschichte zeigt auch: Mit der richtigen Lernumgebung kann selbst ein gefürchtetes Projekt zur Quelle unerwarteter Freude werden.
Ihr Rat an Sprachmuffel: „Einfach machen. Nicht so viel grübeln. Ich habe aus Angst zwölf Jahre verloren – jetzt, wo ich sehe, wie gut es läuft und wie viel Spaß es macht, könnte ich mich in den Hintern beißen. All die Jahre hätte ich das schon haben können.“
Storys von Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften
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