Von der deutschen Schule nach Osteuropa
Anuars Reise zur Sprache begann lange vor der ersten Begegnung mit dem Ukrainischen. Aufgewachsen in Mexiko besuchte er eine deutsche Schule – Startpunkt für seine spätere Sprachbiografie. „Mit elf Jahren war ich schon von anderen Kulturen fasziniert“, erzählt Anuar. Er erinnert sich lebhaft an Schülerreisen nach Deutschland, organisiert von seiner deutschen Lehrerin. Diese Erlebnisse pflanzten einen Gedanken in ihm, der über die Jahre reifte: in Deutschland zu studieren – ein Traum, den er sich mit seinem Physikstudium schließlich erfüllte.
Zum Ukrainischen kam er durch persönliche Begegnungen. „Ich habe sehr gute Freunde aus der Ukraine“, sagt er schlicht. In Darmstadt, wo er seinen Bachelor absolvierte, lernte er ukrainische Kommilitonen kennen, die ihm Einblicke in eine ihm fremde Kultur ermöglichten. Als Russland in die Ukraine einmarschierte, bekamen diese Freundschaften eine neue Dimension. „Es war eine Form der Solidarität“, erklärt er seine anfängliche Motivation, Ukrainisch zu lernen.
Überraschende Klangwelten
Am meisten verblüffte ihn die musikalische Qualität des Ukrainischen. „Es herrscht oft das Vorurteil, dass slawische Sprachen nicht besonders wohlklingend sind“, sagt er, „aber Ukrainisch ist ausgesprochen melodisch.“ Eine Entdeckung, die seinen Erwartungen zuwiderlief und ihn nur noch neugieriger machte.

„Die Sprache selbst ist so melodisch.“
„In den Liedern hört man das besonders. Die Ukrainer singen viel, und sie singen wunderschön“, schwärmt er, wenn er über die musikalischen Traditionen des Landes spricht.
Als Physiker entdeckte Anuar schnell sprachliche Gesetzmäßigkeiten, die ihm das Lernen erleichterten. Ein Aha-Moment stellte sich ein, als er das System der ukrainischen Verben durchschaute: „Wenn man versteht, dass bestimmte Präfixe imperfektive Verben zu perfektiven machen, wirkt die Sprache auf einmal viel logischer.“ Anders als im Deutschen, wo er die Artikel mühsam pauken musste, folgt das grammatikalische Geschlecht im Ukrainischen klaren Regeln – ein Blick auf die Wortendung genügt meist, um das Geschlecht zu bestimmen.
Von Anlaufschwierigkeiten zum Durchbruch
Ein entscheidender Moment auf seiner Reise war das Verständnis der Perfektiv- und Imperfektivformen, das ihm half, Die ersten Gehversuche im Selbststudium liefen ins Leere. „Ich hatte mir ein Anfängerbuch gekauft, aber zwischen Vorlesungen und Übungen fand ich einfach nicht die Zeit dafür“, gesteht Anuar. Nach einem Viertel des Buches legte er es frustriert beiseite – das Physikstudium forderte seinen Tribut.
Die Wende kam mit dem Entschluss, professionelle Hilfe zu suchen. „Ohne Lehrer hätte ich es nicht geschafft“, sagt er ohne Umschweife. In einer Online-Sprachschule fand er die Struktur und Verbindlichkeit, die aus sporadischen Lernversuchen kontinuierlichen Fortschritt machte.
„Ohne die Schule wäre es für mich nicht möglich, Ukrainisch zu lernen — alleine habe ich nie die richtige Zeit gefunden.“
Mittlerweile sind seine Lehrer mehr als nur Sprachvermittler. „Alex ist zu einem echten Freund geworden. Ich sehe ihn jede Woche, wir unterhalten uns auch über Alltagsthemen, und er gehört inzwischen zu meinem Leben“, erzählt Anuar über seinen Ukrainisch-Lehrer, mit dem er seit zwei Jahren lernt. Was als formeller Unterricht begann, hat sich zu einer bedeutungsvollen Verbindung entwickelt.
Zwischen Formeln und Fremdsprachen
Anuars Gedankenwelt pendelt mühelos zwischen Quantenphysik und Spracherwerb. Mit leuchtenden Augen entwickelt er Theorien über Paralleluniversen und das Rätsel der verschwundenen Antimaterie. „Ich habe da so eine kleine Theorie“, leitet er bescheiden ein, bevor er sich in komplexe Überlegungen zur Materieverteilung zwischen verschiedenen Universen stürzt.
Zum Ausgleich greift er zur Nintendo Switch („Mario ist mein Favorit, aber auch Kirby und Pokémon“) oder vertieft sich in Literatur. Aktuell fesselt ihn Orwells „1984“ – ein Buch, das für ihn unheimliche Aktualität besitzt. „Manchmal erkenne ich in den Nachrichten Mechanismen wieder, die Orwell beschrieben hat“, sagt er nachdenklich.
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Sprache als Brückenbauer
Die schönsten Momente erlebt Anuar, wenn Sprachbarrieren fallen. Obwohl er die Ukraine selbst aufgrund des Krieges noch nicht besuchen konnte, nutzt er jede Gelegenheit, um seine Ukrainischkenntnisse einzusetzen – etwa während seiner Reisen nach Polen.
Eine prägende Erfahrung machte er in einem ukrainischen Restaurant, als er auf Ukrainisch bestellte und die Kellnerin ihm auf Russisch antwortete. Verwirrt fragte er später seine Freunde. „Das ist typisch“, erklärten sie ihm, „viele Ukrainer wechseln automatisch ins Russische, wenn sie hören, dass jemand Ukrainisch mit Akzent spricht.“
Doch noch am selben Tag erlebte er am Bahnhof einen besonderen Moment, als er eine Ukrainerin ansprach. „Diesmal lief es prima“, erinnert er sich lächelnd. „Sie meinte, mein Ukrainisch klinge schön, und freute sich über unsere Begegnung.“

„Ich wechsle gerne ins Ukrainische, nur um meine Freunde lächeln zu sehen.“
In solchen Augenblicken spürt Anuar, wofür er lernt. Mit seinen ukrainischen Freunden in Deutschland wechselt er gerne die Sprache. „Sie freuen sich jedes Mal, wenn ich ins Ukrainische wechsle“, erzählt er. „Natürlich sprechen wir oft Deutsch, weil wir es gewohnt sind, aber wenn wir unter uns sind, versuche ich es auf Ukrainisch. Es klappt ganz gut – nicht perfekt, aber auch nicht schlecht.“
Jede Unterrichtsstunde, jedes neue Wort bringt ihn näher an das Verständnis einer ganzen Kultur. Anuars Weg vom mexikanischen Physikstudenten zum Ukrainisch-Lernenden zeigt eindrucksvoll, wie Neugierde und Beharrlichkeit eine zunächst fremde Sprache zu einem wertvollen Teil des eigenen Lebens machen können – und mit ihr die Menschen, die sie sprechen.
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