Vom Sportlehrersohn zum Sprachvermittler
Der Weg ins Lehrerzimmer war für Alex vorgezeichnet, wenn auch mit einer unerwarteten Wendung. „Mein Vater ist Sportlehrer, ein Leichtathletik-Spezialist“, erklärt er mit feiner Ironie in der Stimme. „Und ich bin absolut unsportlich.“ Statt Staffelläufen und Startblöcken faszinierten den jungen Alex Sprachmuster und Satzstrukturen – während sein Vater ihm beibrachte, wie man Geschichten erzählt.
Bei der Berufswahl standen zwei Optionen zur Auswahl: Übersetzer werden oder in die Fußstapfen des Vaters treten. „Die Ukraine braucht nicht so viele Übersetzer“, sagt er nüchtern, „also habe ich mich fürs Unterrichten entschieden – und bin damit völlig zufrieden.“ Obwohl er ein anderes Fach wählte, prägte ihn die Hingabe seines Vaters unverkennbar.

„Mein Vater unterrichtete Sport, aber ich fand Sprachen weit faszinierender als Athletik.“
Als Alex an derselben Schule zu unterrichten begann, spürte er den Schatten seines Vaters. „Er hatte einen hervorragenden Ruf, vertrat klare Prinzipien. Schüler wie Kollegen respektierten ihn sehr“, erinnert sich Alex. „Ich musste beweisen, dass ich mindestens genauso gut bin.“ Dieser frühe Druck formte seinen Lehrstil – gründlich und verantwortungsbewusst, aber mit eigener Handschrift.
Wenn Biologie auf Sprachwissenschaft trifft
Anders als viele Sprachlehrer betrachtet Alex das Ukrainische durch eine analytische Linse. „Ich halte nie zweimal den gleichen Unterricht“, sagt er und beugt sich vor, als würde er ein Berufsgeheimnis verraten. „Man könnte meinen, Sprachlehrer behandeln immer dieselben Themen auf dieselbe Weise – aber bei mir ist jede Stunde völlig anders.“
„Ich habe nie zwei identische Lektionen gegeben – was ich ziemlich interessant finde.“
Seine Methode ist flexibel statt starr. Wenn Schüler an einem Konzept scheitern, wechselt Alex die Strategie – er stellt Fragen, beobachtet ihre Stimmung, bringt Beispiele aus dem Alltag ein. „Wir spielen konkrete Situationen aus dem echten Leben durch, und plötzlich macht die Grammatik Sinn“, erklärt er. Manchmal legt er Lehrbuchübungen beiseite für ein Gespräch, bevor er mit frischem Blick zum eigentlichen Stoff zurückkehrt.
Am meisten faszinieren Alex die sprachlichen Kollisionen zwischen Deutsch und Ukrainisch – Momente, in denen Sprachen unterschiedliche Denkweisen offenbaren. „Im Deutschen muss man zwingend ‚meine Frau‘ sagen, im Ukrainischen verzichten wir auf den Possessivbegleiter. Sie ist selbstverständlich ‚meine‘, wenn ich zu Hause bin – warum sollte ich das extra betonen?“ Diese kulturellen Feinheiten öffnen Fenster zu verschiedenen Weltbildern.
Das Klassenzimmer als Ort des Kulturaustausches
Eine von Alex‘ größten Freuden ist die Förderung kulturellen Verständnisses. „Mich fasziniert die Frage, ob Sprachlogik etwas über den Nationalcharakter verrät“, überlegt er. „Chinesische Wörter sind sehr kurz – denken chinesische Muttersprachler schneller als wir? Psychologen verneinen das, aber ich bin noch nicht überzeugt.“
„Wir haben völlig unterschiedliche Denkweisen, eine ganz eigene Logik in unserer Sprache.“
Diese philosophischen Fragen halten seinen Unterricht lebendig. Wenn er ukrainische Bewegungsverben erklärt, entstehen erhellende Verwirrungen: „Deutsche Schüler fragen: Fährt man mit dem Bus, mit dem Auto, mit dem Pferd oder mit dem Boot? Im Ukrainischen fahren wir mit dem Auto, aber wir schwimmen mit dem Boot. Mit dem Flugzeug fliegen wir.“
Jede Unterrichtsstunde wird zum wechselseitigen Kulturaustausch. „Schüler erklären mir Redewendungen aus ihrer Region oder weisen darauf hin, welche Wörter bei ihnen niemand verwendet“, erzählt er. „Ich wachse mit meinen Schülern – das hält meine Motivation über alle Jahre lebendig.“ Dieses fortwährende Lernen trägt seinen Enthusiasmus auch durch schwierige Zeiten.
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Die Geheimnisse von Borschtsch und Sprache
Abseits des Unterrichts entwickelt Alex kreative Projekte – er verbessert seine Videoschnitt-Fähigkeiten, denkt über ein Buch nach, vielleicht sogar über einen YouTube-Kanal. „Es könnte etwas Berufliches sein oder eine persönlichere Betrachtung – vielleicht über unser Leben während des Krieges oder die Träume von Menschen in meinem Beruf“, sinniert er.
Bei ukrainischer Küche leuchten seine Augen auf. „Borschtsch, natürlich! Aber echter Borschtsch braucht drei Stunden Kochzeit. Wenn er gelingt, ist es nicht bloß Essen – es ist Kunst.“ Er lacht, fügt dann mit gespieltem Ernst hinzu: „Ukrainer könnten mich lynchen, weil ich Borschtsch als Suppe bezeichnet habe. Für uns ist Borschtsch etwas Heiliges, etwas ganz Besonderes.“
Diese Leidenschaft zeigt sich auch in seiner Wertschätzung ukrainischer Kultur. Obwohl kein ausgesprochener Musikliebhaber, spricht er warmherzig von Kvitka Cisyk, einer ukrainisch-amerikanischen Sängerin, die trotz ihres Lebens in den USA ihre Heimat nie vergaß. „Sie trug die Ukraine stets im Herzen und verbreitete unsere Kultur im Ausland“, bemerkt er anerkennend.
Gemeinsamkeiten entdecken durch Sprache
Was Alex immer wieder überrascht: wie viele Parallelen zwischen deutscher und ukrainischer Kultur bestehen. „Wir haben eine ähnliche Küche – viel Fleisch, Kartoffeln, Brot. Manchmal folgen unsere Sprachen sogar der gleichen Logik“, beobachtet er. Diese Entdeckung gemeinsamer Muster inmitten aller Unterschiede erfüllt ihn mit tiefer Zufriedenheit.

„Das Eintauchen in fremde Kulturen fasziniert mich, aber das Unterrichten von Ukrainisch lässt mich meine eigene neu entdecken.“
Als einer der wenigen Männer in einem überwiegend weiblichen Berufsfeld hat Alex einen besonderen Blickwinkel. „Frauen sind geduldiger mit Papierkram und Büchern“, sagt er schmunzelnd. „Für Männer kann Verwaltungsarbeit unerträglich sein – das fällt uns wirklich schwer.“ Dennoch blüht er in diesem Umfeld auf und empfindet es als berufliche Bereicherung.
Trotz des andauernden Krieges hält Alex an seinem Unterricht und seinen Zukunftsplänen fest. Die digitale Verbindung zu seinen Schülern bietet ein Stück Normalität in unsicheren Zeiten. „Die Arbeit mit deutschen Schülern gibt mir innere Ruhe“, gesteht er leise. „Sie sind sehr zuverlässig, sehr beständig. Im Gespräch mit ihnen fühle ich mich fast wie zu Hause.“
Für Alex bedeutet Sprachunterricht letztlich, Brücken zu bauen – zwischen verschiedenen Grammatiksystemen, zwischen Kulturen und zwischen Menschen, die geografisch getrennt, aber durch Neugierde verbunden sind. In jeder Unterrichtsstunde schafft er einen Raum, in dem Verständnis wächst – ein sorgfältig erklärter Satz nach dem anderen.
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